Mineralölkohlenwasserstoffe
Mineralölkohlenwasserstoffe
Steckbrief
Beschreibung
Mineralölkohlenwasserstoffe (=mineral oil hydrocarbons – MOH) sind komplexe Mischungen mit stark variierender Zusammensetzung, die in gesättigter (MOSH- mineral oil saturated hydrocarbons) und aromatischer Form (MOAH - mineral oil aromatic hydrocarbons) vorkommen. Sie stammen hauptsächlich aus Erdöl/-produkten und zu einem geringeren Anteil beispielsweise aus Kohle, Erdgas und Biomasse.
Vorkommen
Mineralölkohlenwasserstoffe können entweder durch beabsichtigten, gezielten Einsatz oder unbeabsichtigt in Lebensmittel gelangen. Zu den wichtigsten Eintragsquellen zählen beispielsweise:
- Packstoffe und Transportmaterialien entlang der Wertschöpfungskette wie
- Recyclingverpackungen aus Altpapier aufgrund der mineralölhaltigen Druckfarben. Diese können im Zuge des Recyclingprozesses nicht ausreichend entfernt werden und können bei direktem Kontakt auf das Lebensmittel gelangen.
- Behandelte Rohstoffverpackungen wie Jutesäcke
- Lebensmitteltaugliche („Foodgrade“) Schmiermittel und technische Schmiermittel
- Zusatzstoffe und technische Hilfsmittel wie Trennmittel, Glanzmittel und Gleitmittel
- Pflanzenschutzmittel wie Paraffin
- Tierarzneimittel
- Hygieneprodukte wie Lotionen, Lippenstifte und Haarprodukte
- Medizinische Produkte
Da Mineralölkohlenwasserstoffe durch Umweltkontaminationen aufgrund diverser Faktoren wie Emissionen, Öldämpfen/-nebel, Verbrennungsgasen/Abgasen, Feinstaub und Ruß aus dem Umfeld in Rohwaren für Lebensmittel gelangen (z.B. über landwirtschaftliche Maßnahmen, Transportvorgänge, Lagerung oder Verarbeitungsprozesse), sind Verunreinigungen (Kontaminationen) unvermeidbar.
Gesundheitsrisiko
Die gesundheitlichen Auswirkungen der Verunreinigung durch Mineralölkohlenwasserstoffe variieren sehr stark, da es sich um ein Gemisch aus vielen verschiedenen Stoffen mit unterschiedlichem Gefahrenpotenzial handelt. Der Fokus bei der Risikobeurteilung liegt auf der Identifizierung von häufig krebserzeugenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffverbindungen (diese zählen zu den MOAH) und von kürzerkettigen gesättigten Kohlenwasserstoffen (Teil der MOSH), die sich im Gewebe anreichern. In ihrer im September 2023 veröffentlichen Neubewertung von MOSH und MOAH kam die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) zu folgenden Ergebnissen:
Im Falle von MOSH sind auf Basis der derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Studien mit hoher Wahrscheinlichkeit keine negativen gesundheitlichen Effekte beim Menschen zu erwarten. Die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Studien lassen den Schluss zu, dass beobachtete schädliche Wirkungen auf die Leber, die sich bei einem bestimmten Rattenstamm gezeigt haben, für den Menschen nicht relevant sind. Dennoch ist es wichtig, die möglichen langfristigen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit weiter zu untersuchen.
Im Falle von MOAH mit 3 oder mehr aromatischen Ringen hingegen können aufgrund ihrer möglichen krebserregenden und erbgutverändernden Effekte negative gesundheitliche Auswirkungen insbesondere bei Kleinkindern, aber auch bei der restlichen Bevölkerung nicht ausgeschlossen werden. Für eine abschließende Risikobewertung sind allerdings weitere toxikologische Daten sowie Daten in Bezug auf die Aufnahme von MOAH durch die Bevölkerung nötig.
Im Falle von MOAH mit 1-2 aromatischen Ringen, die möglicherweise ebenfalls negative gesundheitliche Effekte haben können, liegen aktuell nicht ausreichend toxikologische Daten für eine Risikobewertung dieser Verbindungen vor.
Situation in Österreich
Lebensmittel
Auf EU-Ebene hat man sich auf folgende temporäre harmonisierte Aktionswerte für MOAH geeinigt:
- 0,5 mg/kg für trockene Lebensmittel mit einem geringen Fett-/Ölgehalt (unter 4 % Fett/Öl)
- 1 mg/kg für Lebensmittel mit einem höheren Fett-/Ölgehalt (über 4 %Fett/Öl, unter 50 % Fett/Öl)
- 2 mg/kg für Fette/Öle oder Lebensmittel mit einem Fett-/Ölgehalt über 50 %
Diese sind die derzeit niedrigsten Gehalte, die mit entsprechender Reliabilität (Zuverlässigkeit) von Laboratorien in der EU festgestellt werden können.
Recyclingkartons
Damit Mineralölkohlenwasserstoffe bei Lebensmittelverpackungen aus Recycling-Karton nicht in Lebensmittel gelangen, bestehen Maßnahmen wie beispielsweise die Anwendung von Sperrschichten (z.B. Plastikfolie) oder adsorbierenden Stoffen (z.B. Aktivkohle). Die dabei zu berücksichtigenden Anforderungen finden sich in der aktuellen Resolution und technischen Leitlinie des Europarates (https://freepub.edqm.eu/publications/PUBSD-115/detail) Paper and Board used in food contact materials and articles, EDQM 2021). Es gibt auch eine österreichische Empfehlung über die Verwendung von Recyclingkarton zur Lebensmittelverpackung (BMG-75210/0018-II/B/13/2012 vom 21.12.2012).
2017 hat der Lebensmittelverband Deutschland eine „Toolbox zur Vermeidung von Einträgen unerwünschter Mineralölkohlenwasserstoffe in Lebensmittel“ erarbeitet. Ziel dieser Toolbox ist es, durch stufenbezogene Analysen das Risiko von vermeidbaren Mineralöleinträgen entlang der Wertschöpfungskette möglichst zu beherrschen und Ansätze, die Eintragsmengen zu reduzieren, zu identifizieren.
Untersuchungen
Wir untersuchen Lebensmittel auf Mineralölkohlenwasserstoffe im Rahmen von Schwerpunktaktionen. 2017 haben wir 20 kartonverpackte Lebensmittel hinsichtlich der Belastung mit MOSH und MOAH untersucht. Sowohl MOAH als auch MOSH wurden in allen untersuchten Kartonproben festgestellt (MOAH: 8 - 318 mg/kg; MOSH: 21 - 1213 mg/kg Material).
Im Rahmen einer Untersuchung von Brot, Kleingebäck, Frühstückszerealien, Fischkonserven und Würsten im Jahr 2019 haben wir eine Bestimmung von MOH in 52 Proben durchgeführt. Diese hat ergeben, dass lediglich in drei Proben MOSH und in einer der Proben MOAH nachweisbar war.
Im Jahr 2022 untersuchten wir im Rahmen einer Schwerpunktaktion 20 Proben Säuglingsanfangs- und Folgenahrung auf Mineralölkohlenwasserstoffe. In allen Proben wurde MOSH nachgewiesen, wobei der Hauptteil bei MOSH mit einer Kettenlänge ab C25 gelegen ist, während in keiner einzigen Probe MOAH in quantifizierbarer Menge festgestellt werden konnte. Keine der vorliegenden Proben war auf Basis der Beurteilungsgrundlagen zu beanstanden.
Fachinformation
MOH können in drei Hauptgruppen eingeteilt werden:
- gerad-und verzweigtkettige offene Alkane (Paraffine)
- (meist) alkylierte Cycloalkane (Naphthene)
- alkylierte und nicht-alkylierte Aromaten.
Während die ersten beiden Gruppen zu den MOSH (gesättigte Mineralölkohlenwasserstoffe, mineral oil saturated hydrocarbons) zählen, gehören die nicht-alkylierten aromatischen Verbindungen zu den MOAH (aromatische Mineralölkohlenwasserstoffe, mineral oil aromatic hydrocarbons).
Das übliche Verhältnis MOSH:MOAH beträgt 4:1.
Daneben gibt es MOSH-Analoga wie beispielsweise Mineralölraffinationsprodukte (MORE - Mineral Oil Refined Products), Polyalphaolefine (PAO) und Oligomere aus den Kunststoffen Polyethylen oder Polypropylen (POSH - Polymer Oligomeric Saturated Hydrocarbons).
Eine analytische Unterscheidung von MOSH und MOSH-Analoga ist mit den derzeit etablierten Methoden nicht immer möglich. Daher führt das Vorhandensein von MOSH-Analoga zu einer Erhöhung der MOSH-Messwerte, wodurch sich das übliche Verhältnis von MOSH und MOAH verschiebt. Auch einige Pflanzen enthalten von Natur aus Kohlenwasserstoffverbindungen (Pflanzenwachse, biogene Wachse, Terpene, Olefine etc.), die MOSH-Verbindungen in ihrer chemischen Struktur sehr ähnlich sind. Natürliche Olefine, Terpene und Carotinoide können den gemessenen MOAH-Wert erhöhen. Aufgrund der Komplexität der MOH-Gemische ist eine Analyse der Einzelkomponenten mit den derzeit etablierten Methoden nicht möglich.
Tierstudien haben gezeigt, dass sich MOSH in Gewebe anreichern und zu Entzündungsreaktionen in der Leber führen können. In Organen von Ratten (Leber, Milz) konnten MOSH bis zu einer Kohlenstoffkette von C45 nachgewiesen und quantifiziert werden. Auch in menschlichen Geweben wurden MOSH nachgewiesen, MOSH mit einer Kohlenstoffkettenlänge unter C16 akkumulieren jedoch nicht im menschlichen Körper. Die gesundheitliche Relevanz für den Menschen ist noch nicht abschließend geklärt.
Aktuell wird europaweit an Verbesserungen der Analytik und entsprechenden Risikobewertungen dieser Stoffe gearbeitet. Hierfür bedarf es allerdings auch einschlägiger toxikologischer Studien.
EFSA Bewertung von Mineralölkohlenwasserstoffen (MOSH und MOAH) aus dem Jahr 2012
Eine 2012 veröffentlichte Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ergab, dass Menschen täglich zwischen 0,03 mg und 0,3 mg gesättigte Kohlenwasserstoffe (MOSH pro Kilogramm Körpergewicht über Lebensmittel aufnehmen. Kleinkinder und Kinder haben mit 0,2-0,3 mg MOSH pro kg Körpergewicht die höchsten Aufnahmewerte innerhalb der Bevölkerung. Bei Kleinkindern und Kindern tragen vor allem Eiscreme und Desserts zur Aufnahme von Mineralöl aus Lebensmitteln bei. Weiters zeigten die Ergebnisse der EFSA, dass die Aufnahme von aromatischen Kohlenwasserstoffen (MOAH) bei etwa 20 Prozent der Werte für MOSH liegt, also zwischen 0,006 und 0,06 mg/Kilogramm Körpergewicht pro Tag.
Die gesundheitliche Relevanz von MOSH-Verbindungen für den Menschen ist noch nicht abschließend geklärt. Mangels toxikologischer Daten kam die EFSA im Falle der MOAH-Verbindungen zu dem Schluss, dass der Nachweis von MOAH in Lebensmitteln als potenziell bedenklich für die menschliche Gesundheit anzusehen ist.
EFSA Bewertung von MOAH aus dem Jahr 2019
In ihrer Risikobewertung von MOAH-Kontaminationen in Säuglingsanfangs- und Folgenahrung im Jahr 2019 kam die EFSA zu dem Ergebnis, dass MOAH mit Konzentrationen von 0,9 bis 3,5 mg/kg in diesen Produkten vorliegen und aufgrund des möglichen Vorhandenseins von 3-7 PAK Verbindungen in MOAH, als gesundheitlich bedenklich einzustufen ist.
EFSA Bewertung von Mineralölkohlenwasserstoffen (MOSH und MOAH) aus dem Jahr 2023
Im Rahmen der Neubewertung von MOSH- und MOAH-Verbindungen durch die EFSA, die im September 2023 veröffentlicht wurde, fanden neue Toxizitätsstudien sowie Auftretensdaten, die seit dem im Jahr 2012 von der EFSA veröffentlichten Bericht publiziert bzw. übermittelt wurden, Berücksichtigung.
Nachfolgend werden die Ergebnisse der Neubewertung von MOSH und MOAH durch die EFSA zusammengefasst.
MOSH
Neueste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Gewebeveränderungen (Mikrogranuloma) und Entzündungen in der Leber (=relevantester Endpunkt in Tierstudien) spezifisch für den Rattenstamm F344 sind und nicht relevant für den Menschen sind. Auch andere relevante gesundheitliche Effekte in Bezug auf die Aufnahme von MOSH-Verbindungen durch den Menschen konnten nicht identifiziert werden.
Die neu berechnete Exposition ist mit 0,009 bis 0,212 mg MOSH/kg KG/Tag ist geringer als die errechnete Exposition im Bericht aus dem Jahr 2012. Für Säuglinge, die mit Säuglingsanfangsnahrung gefüttert werden, wurde eine Exposition von 0,22 bis 0,37 mg MOSH/kg KG/Tag errechnet.
Die Risikocharakterisierung ergab zusammenfassend, dass auf Basis der vorliegenden Daten in Bezug auf MOSH-Verbindungen negative gesundheitliche Effekte für den Menschen unwahrscheinlich sind.
MOAH
MOAH-Verbindungen mit 3 oder mehr Ringen wurden, wie auch ich in den Berichten zuvor, aufgrund einer möglichen erbgutschädigenden und krebserregenden Wirkung als gesundheitlich bedenklich eingestuft, was insbesondere auf ihre Ähnlichkeit zu polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs) zurückzuführen ist. Hinsichtlich MOAH-Verbindungen mit 1 bis 2 Ringen liegen nach wie vor nur wenige Informationen vor.
Die berechnete Exposition der Gesamtbevölkerung lag bei 0,003 bis 0,059 mg MOAH/kg KG/Tag. Für Säuglinge, die mit Säuglingsanfangsnahrung gefüttert werden, wurde eine Exposition von 0,019 bis 0,063 mg MOAH/kg KG/Tag errechnet. Es wird angenommen, dass darunter vor allem MOAH mit 1 bis 2 Ringen und nur ein geringer Teil der schädlicheren MOAH-Verbindungen mit 3 oder mehr Ringen vorkommen. Die genauen Anteile sind aktuell nicht bekannt.
Für MOAH-Verbindungen mit 3 oder mehr Ringen wurde aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit PAKs der Referenzpunkt von 0,49 mg/kg KG/Tag herangezogen. Die Risikocharakterisierung ergab, dass MOAH-Verbindungen mit 3 oder mehr Ringen in Lebensmitteln als gesundheitlich bedenklich anzusehen sind.
Im Falle der MOAH-Verbindungen mit 1 oder 2 Ringen konnte mangels toxikologischer Daten kein Referenzpunkt abgeleitet werden. Die Exposition gegenüber MOAH-Verbindungen mit 1 bis 2 Ringen in Lebensmitteln ist gemäß EFSA als potentiell bedenklich anzusehen.
Aktualisiert: 09.09.2024